Wie alles begann...

 „Na, Sie machen ja Sachen?“ „Bist du verrückt? Alle Leute wollen im Winter in den Süden, wo es warm ist und was machst du?“ „Haben Sie sich das auch gut überlegt?“ … Reaktionen von Kunden, Kollegen und Freunden als ich die „Bombe“ habe platzen lassen und ihnen von meinem Vorhaben erzählte: „Ich gehe für drei Monate als Helferin auf eine Huskyfarm nach finnisch Lappland.“ Doch wie kam es dazu?

Schon lange, viel zu lange, sehne ich mich nach einer Auszeit. Ich muss raus: raus aus dem Büro, raus aus dem tristen Alltagstrott, raus aus meiner bequem eingerichteten Komfortzone. Da ist eine tiefe Sehnsucht in meinem Herzen, die mehr und mehr wächst, doch ich kann sie nicht greifen, nicht identifizieren, nicht erfassen. Sie ist da, sie beschäftigt mich und manchmal, manchmal quält sie mich auch. Mich zermürbt, dass ich nicht sagen kann, was genau ich eigentlich suche.

Eine Weltreise? Nein, denn viele Teile der Welt interessieren mich gar nicht. Work and Travel? Klingt recht nett, aber so richtig motiviert bin ich auch nicht. Es fühlt sich nicht an, als könnte es diese Lücke schließen, dieses Loch stopfen, was immer mehr aufreißt. Fest steht: Ich möchte weg, etwas Anderes machen, etwas ganz Neues kennen lernen, mich weiter entwickeln, mehr erfahren von Dingen, von denen ich bislang keine Ahnung habe – und: ich möchte unbedingt mit Tieren arbeiten, am liebsten mit Hunden oder Pferden.

Ich suche lange ohne richtig zu finden, was ich suche. Ich glaube, ich weiß gar nicht, wonach ich suche. Einiges klingt ja ganz nett, aber es berührt mich nicht und der Elan ist nach wenigen Stunden verflogen.  Ich weiß viel zu sehr, was ich nicht will, statt was ich gerne möchte und es gibt Tage, da zerreißt es mich fast, weil ich mich auch über mich selber Ärger. Die Welt ist voller Möglichkeiten. Warum tue ich mich da so schwer?

Eines Tages begebe ich mich auf die Suche nach einer Huskyfarm bei der wir eine Tagestour mit Schlittenhunden in unserem Urlaub buchen können. Wir wollen uns einen Traum erfüllen und haben drei Wochen eine Blockhütte in Finnisch Lappland gebucht. Ich finde keine Farm und den Urlaub müssen wir einige Wochen später wegen Krankheit absagen, aber ich finde etwas anderes: einen Bericht in einem Internetforum von einer freiwilligen Helferin auf einer Huskyfarm. Ich verschlinge diese  Zeilen und tief in meinem Inneren regt sich wieder diese Sehnsucht. Ich spüre von einem Moment auf den anderen, dass ich gefunden habe, was ich so lange suchte. Noch am selben Abend erzähle ich meinen Eltern davon und bekam „grünes Licht“ für die Versorgung von meinem Pony und meinen Katzen. Das Thema ist ihnen auch nicht gerade neu. Vielleicht atmen sie innerlich sogar auf, weil ich endlich einen Plan habe.  Ich verbringe die halbe Nacht damit, eine Internetplattform zu durchstöbern und Farmen in Schweden und Finnland anzuschreiben. Das sind meine Favouritenländer. So könnte ich gleich mehrere „Fliegen mit einer Klappe schlagen“: ich verbringe Zeit an einem der für mich schönsten Orte, die ich kenne, ich bin draußen und arbeite mit Hunden: Volltreffer!

Zwei Wochen später bekomme ich eine Antwort aus Finnisch Lappland, dass dort Helfer gesucht werden und ich eine Bewerbung schicken solle. Wieder wenige Wochen später hatte ich die Zusage – und dass, obwohl es in diesem Internetforum hieß, dass man an solche Stellen unendlich schwer herankommt. Ich boxe in meiner Firma den unbezahlten Urlaub durch, schließe Verträge mit Krankenversicherung und Auslandskrankenversicherung und am 16.11. hat das Warten denn endlich ein Ende.

Und so beginnt meine Zeit von November 2012 bis Februar 2013 als Helferin im Huskycamp - wenn ich es recht überlege, beginnt für mich ein neues Leben. Ich genieße diese Monate in vollen Zügen: Hunde füttern, Zwinger putzen, Hunde knuddeln, Holz zu den Hütten fahren, Pferdeboxen misten, Gästetouren mit Pferden - ich kann mir nichts Schöneres vorstellen. Um so Schwerer fällt der Abschied. Doch wie sich ein Jahr später herausstellt, ist es eigentlich nur eine Pause... 

Zu Hause lässt mir dieser Ort keine Ruhe. Ich habe das Gefühl, dass dieses Kapitel für mich noch längst nicht abgeschlossen ist. Ich sehne mich nach dem Norden, nach den Tieren und der Einfachheit des Lebens. Und so überrascht es niemanden wirklich, als ich meinen Job kündige und meiner Sehnsucht folge - natürlich nicht ohne Santano, meinen jetzt 17 Jahre alten Haflingerwallach, der mich schon die Hälfte meines Lebens begleitet. Ich habe ihn als Fohlen bekommen und selbst ausgebildet.

Im September 2014 machen wir uns dann von Schleswig-Holstein aus auf den Weg. Ziel: finnisch Lappland, ca. 200 km nördlich des Polarkreises. Ich habe dort einen Job im Huskycamp als Doghandler bekommen.  Vorher ist noch einiges zu organisieren, um Santano die lange Reise im Anhänger so angenehm wie möglich zu gestalten. Ich plane die Strecke, lege die Tageskilometer fest und buchte Übernachtungsquartiere in Schweden , sodass Santano die Nächte in der Box oder im Paddock verbringen kann. Einen Tag vor Abreise kommt die Amtstierärztin um das Pferd zu untersuchen und die Zollpapiere in dreifacher Ausführung auszustellen: eines für Dänemark, eines für Schweden und eines für Finnland. Die erste Nacht verbringen wir in Jönköping, die Zweite in Söderhamn und die Dritte in Skelleftea. Nach 2.200 km erreichen wir unser Ziel ohne besondere Zwischenfälle.

Das Camp liegt 20 km von Äkäslompolo entfernt mitten im Nirgendwo. Rundherum sind nur Wälder, Seen und kleinere Berge. Neben den Angestellten und über 500 Alaskan Huskies leben hier auch noch drei Katzen und vier Isländer. Im Winter unternehmen hier Touristen Schlittenhundetouren in die verschneite Einsamkeit der nordfinnischen Wälder. Die Tage sind kurz. Die Sonne zieht sich für einige Wochen zurück. Die Temperaturen fallen im schlimmsten Fall auf -40 Grad C. Im Sommer hingegen genießen wir die Mitternachtssonne, die an schönen Tagen die ganze Nacht scheint und zum Reiten, Wandern, Grillen, Schwimmen und Fahrradfahren einlädt. 

Mein Job umfasst die Betreuung der alten, kranken und jungen Hunde, die Grunderziehung der Welpen und die Durchführung der Reittouren mit den Gästen: 2,5 Stunden auf einem Trail durch Wälder und über Sümpfe – links und rechts meterhoher Tiefschnee…

Wir lassen das Camp und die aufgeregt bellenden Hunde hinter uns und tauchen ein in eine bezaubernde Winterlandschaft. Der Schnee verwandelt die Bäume in skurile Figuren. Die Ponies bahnen sich ihren Weg durch den Schnee, sie schnauben zufrieden. Rundherum ist es still. Es dämmert. Das wenige Licht verwandelt die Wipfel der Bäume in etwas ganz Besonderes. In klaren Nächten tanzen abends die Nordlichter am Himmel über dem Camp. Die Hunde heulen … und für einen Moment hält die Welt den Atem an.    

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